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Der neue Mitarbeiter im Kundendienst

Walliser Bote, 20.4.2023

«Guten Tag, ich bin Laura, was kann ich für Sie tun?» Chatbots in ihrer einfachen Form sind schon weit verbreitet. Bild: Getty

Die Schweizer Kundschaft zeigt sich offen für Gespräche mit Chatbots.
Aber noch sind die digitalen Helfer oft sehr dumm.

Sie heissen Ollie, Nelly, Clara oder so ähnlich. Manche stellen sich gleich selber vor. «Hallo, ich bin Sam!» Oder: «Guten Tag! Ich bin Laura.» Andere sind weniger forsch und warten darauf, kontaktiert zu werden. Hilfsbereit sind sie alle. Sie fragen: «Was kann ich für Sie tun?» Oder sagen: «Ich beantworte gerne Ihre Fragen.» Man begegnet ihnen, wenn man im Internet auf Websites von Hotels, Versicherungen oder Banken surft. Chatbots sind überall. Kaum ein grösseres Unternehmen verzichtet auf seiner Website auf einen digitalen Assistenten. Es gibt sie zwar schon länger, doch seit sich ChatGPT ins kollektive Bewusstsein der Internetnutzer katapultiert hat, haben sie eine neue Bedeutung erlangt. Chatbots sind nicht mehr nur lästige Fenster, die auf einer Website aufpoppen, sondern können auch schier allwissende Gesprächspartner sein.

83 Prozent fühlen sich mit Standardantwort abgespeist

Leider trifft Letzteres noch immer selten auf die Schweizer Exemplare der digitalen Helfer zu. «Viele Chatbots sind eigentlich bloss Attrappen. Sie leiten die Nutzer einfach an den Kundendienst weiter», sagt Jörg Neumann. Er ist Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Neumann Zanetti & Partner und hat mit seinem Team eine der ersten Marktbefragungen zum Umgang mit Chatbots in der Schweiz durchgeführt. Das Fazit: Ein Grossteil der Nutzer ist offen für diese Art der Kommunikation, zeigt sich dann aber bald enttäuscht, wenn klar wird, dass der Bot die gestellten Fragen nicht zufriedenstellend beantworten kann. So gaben zwar 87 Prozent der Teilnehmer an, dass der Chatbot ihr Anliegen auf Anhieb verstanden hat, bloss 17 Prozent aber fanden dann, dass die Antwort wirklich auf ihre Frage zugeschnitten sei. 83 Prozent fühlten sich mit einer Standardantwort abgespeist. «Das Gespräch geht gut los, dann aber stockt es. Viele Chatbots können die geforderten Informationen nicht liefern, verstehen nicht, was die Kunden wollen», sagt Neumann. Besonders grotesk wird es, wenn ein Bot einer Bank mit dem Wort «Konto» nichts anfangen kann, ein digitaler Gesprächspartner einer Fluggesellschaft nicht weiss, was «last minute» bedeute oder ein Sprachroboter eines ÖV-Unternehmens bei «Sparbillett» nur Bahnhof versteht. Es sind dies alles Beispiele, die Teilnehmer der Untersuchung bemängelt haben. Sophie Hundertmark forscht an der Hochschule Luzern und berät Firmen zum Einsatz von Chatbots. Sie sagt: «Oft bleiben die Chatbots weit hinter den Erwartungen der Nutzer zurück.» Das liege aber nicht an der Technologie an sich, sondern daran, wie die Firmen sie implementierten. «Der beste Mitarbeiter der Welt kann nicht gut sein, wenn er nicht richtig geschult wird», erklärt sie. Im Idealfall übernimmt ein Chatbot einfache Aufgaben einer Sachbearbeiterin oder eines Rezeptionisten. Er kann etwa einem Hotelgast helfen, dessen Buchung zu verschieben, eine Kundin einer Versicherung darin unterstützen, einen Schadensfall zu melden, oder einem Einwohner einer Gemeinde gewünschte Dokumente aushändigen. Doch dazu muss man sie trainieren. Dabei gibt es – vereinfacht gesagt – zwei verschiedene Typen von Chatbots: die Dummen und die Lernfähigen. Den Dummen muss man auf jede zu erwartende Frage eine passende Antwort vorformulieren. Dafür müssen wichtige Wörter manuell markiert werden. Verwendet etwa ein Hotelgast in einer Frage das Verb «geöffnet» und das Substantiv «Pool», so antwortet der Chatbot mit den Öffnungszeiten des Pools – und schiebt vielleicht noch jene des Fitnesscenters hinterher.

Trotz Negativschlagzeilen setzt Helvetia auf ChatGPT

Wenn immer ungefähr dieselben Fragen gestellt werden, wie etwa auf der Website eines Hotels, könne man mit dieser Technik ziemlich weit kommen, sagt Hundertmark. Die Zukunft gehöre aber den lernfähigen Chatbots wie ChatGPT der Firma Open AI. Auf Fragen werden hier nicht konkrete Antworten vorgegeben. Stattdessen generiert der Chatbot seine Antworten selber. Dafür wird ein neuronales Netz mit möglichst vielen Daten trainiert. Die wohl erste Schweizer Firma, die auf diese Technologie setzt, ist die Versicherung Helvetia. Sie nutzt die künstliche Intelligenz und das Sprachverständnis von ChatGPT und trainiert dieses mit dem gesamten Wissen ihrer Datenbanken. So soll es dem Chatbot gelingen, ein detailliertes Verständnis über das Versicherungswesen zu erlangen und auch knifflige Fragen präzise zu beantworten. Sophie Hundertmark von der Hochschule Luzern unterstützt die Helvetia bei der Etablierung ihres neuen Sprachroboters Clara und wertet das Vorhaben wissenschaftlich aus. Die Versicherung nennt den Chatbot ein «Experiment», bei dem jeder mit seinen Fragen mithelfen könne, ihn zu verbessern. Hundertmark würde gerne mehr Schweizer Firmen für ChatGPT begeistern, doch sie spürt grosse Zurückhaltung. «Viele wollen erst einmal abwarten», sagt sie. Das dürfte auch daran liegen, dass der Sprachroboter, seit er im November begann, das Internet zu erobern, eine Reihe von Negativschlagzeilen produziert hat. So haben Tausende von Forschern und Expertinnen in einem Brief vor der künstlichen Intelligenz gewarnt und ein sechsmonatiges Moratorium gefordert. ChatGPT fiel immer mal wieder mit geradezu in grotesker Weise falschen Antworten auf. Und in Italien wurde der Dienst von ChatGPT aus Datenschutzbedenken sogar eingestellt. Konsumenten hätten wesentlich weniger Angst um Datenschutz und Co., als es aktuell durch die Medien verbreitet
werde, sagt Hundertmark. Sie führt dazu eine Studie und hat die ersten – noch nicht repräsentativen – Ergebnisse ausgewertet. Ihr Fazit: «Kunden würden den Einsatz von ChatGPT durch Unternehmen sehr schätzen, vor allem für allgemeine Anfragen und erste Beratungen.»


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