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Mit Duzis und Videos: So buhlen Firmen heute um junge Angestellte

Luzerner Zeitung, 22.03.2023


Viele offene Lehrstellen - eine Analyse zeigt, welche Jobinserate bei Jugendlichen am besten ankommen.

Kellner, Coiffeusen, Elektriker und Köchinnen: Sie fehlen in vielen Schweizer Betrieben. Und ausreichend Nachwuchs ist nirgends in Sicht. Mehr als 10 000 Lehrstellen blieben schweizweit in den vergangenen Jahren unbesetzt. Der akute Fachkräftemangel zwingt Unternehmen immer öfter, besonders aktiv um die Gunst der Jugendlichen zu buhlen. Auf dem grössten privaten Lehrstellenportal Yousty sind derzeit noch immer rund 21 400 Stellen mit Antritt im Sommer 2023 offen. Dabei ist die heisse Bewerbungsphase längst vorbei. In den Herbstmonaten würden auf dem Portal mit Abstand am meisten Bewerbungen verschickt, sagt Mediensprecherin Stefanie Näf. Aktuell seien es nur noch etwas halb so viele. Wie gross das Interesse an den verschiedenen Berufen ist, lässt sich anhand der Zahl der Suchabfragen auf dem Lehrstellenportal abschätzen. Unangefochtener Spitzenreiter ist die KV-Lehre. Während es der Kochberuf noch unter die Top 20 schafft, liegt die Restaurantfachfrau, landläufig als Kellnerin bezeichnet, mit bislang bloss 7000 Suchanfragen weit ab vom Schuss.

Zu viele Informationen schrecken ab

Gerade für Lehrbetriebe mit unpopulären Berufen ist es deshalb umso wichtiger, ihre Ausbildungsplätze geschickt zu vermarkten. Geht es nach Jörg Neumann vom Schulungs- und Beratungsunternehmen NeumannZanetti & Partner, ist allerdings das Gegenteil der Fall. Er sagt: «Viele Lehrstelleninserate sind für Jugendliche schlicht nicht attraktiv.» Kürzlich organisierte Neumann deshalb eine Aktion, bei der Firmen ihre Inserate direkt von Jugendlichen bewerten lassen konnten. 40 Firmen aus verschiedenen Branchen - Industrie, Banken, Gesundheitswesen oder Hotellerie - folgten dem Aufruf. Auch Gemeindeverwaltungen meldeten sich. Jedes teilnehmende Unternehmen erhielt von der kritischen Jury ein individuelles Feedback zum Inhalt und der Gestaltung seiner Lehrstelleninserate.

Firma will mit Lernenden auf Tiktok werben

Bei der im Armaturenmarkt tätigen Sistag nannten die Jugendlichen etwa «übersichtliche Gestaltung» und «klare Ansprechpersonen» als Positivpunkte. Bemängelt wurde hingegen, dass sehr viele Informationen ins Inserat gepackt worden seien. Zudem wären zusätzlich Videos zu den Berufsbeschreibungen «sicher hilfreich», steht in der Auswertung. Daniel Langenegger, Personalleiter bei der Sistag, sagt, die Rückmeldungen von den Jugendlichen seien sehr hilfreich. Alle Lehrstellen in den Berufen Polymechaniker und Produktionsmechanikerin zu besetzen, sei herausfordernd. Auch dieses Jahr würde die Firma gerne noch ein bis zwei Lernende mehr anstellen. Die neu ausgebildeten Angestellten würden wegen des Fachkräftemangels dingend gebraucht, sagt Langenegger. Auch deshalb soll ein Projektteam, bestehend aus Mitarbeitenden aus der Marketing- und Personalabteilung sowie Lernenden, die Nachwuchsrekrutierung vorantreiben. Als ein weiterer Schritt sei kürzlich auf der Firmenwebsite ein Video aufgeschaltet worden, in dem Lernende aus ihrem Alltag erzählen. Künftig will die Firma ihr Ausbildungsangebot auch über Social-Media-Kanäle gezielt bewerben. Angedacht sei etwa, dass die Lernenden einen eigenen Tiktok-Kanal führten und aktuell hielten, sagt Langenegger. «Uns ist klar, dass wir unsere Onlinepräsenz möglichst schnell ausbauen müssen, um Jugendliche direkt zu erreichen.»

Agenturfotos kommen nicht gut an

Doch stellt das regelmässige Erstellen von Social-Media-Beiträgen die Industriefirma aus Eschenbach LU vor beträchtliche Herausforderungen. «Im Vergleich zu grösseren Konkurrenten im Lehrstellenmarkt ist es für uns als KMU mit 130 Angestellten schwierig, die notwendigen Ressourcen und das Know-how zur Verfügung zu stellen», gibt Langenegger zu bedenken. Die Auswertung der Lehrstelleninserate habe gezeigt, dass deren Inhalte nicht nur professionell wirken sollten, erklärt Unternehmenscoach Neumann. Gleichzeitig müsste die Werbung auch ehrlich und authentisch sein. «08/15-Bilder von der Agentur kamen gar nicht gut an», sagt er. Ein weiteres Ergebnis der Auswertung: Viele Jugendliche interessieren sich viel stärker für die Personen hinter einem Unternehmen als für dessen Geschichte. Wenn beispielsweise echte Lernende als Botschafter in Videos aufträten oder sich die zuständige Berufsbildnerin vorstelle, komme dies besonders gut an, bestätigt Stefanie Näf vom Lehrstellenportal Yousty. Gar nicht gut angekommen seien in der Vergangenheit hingegen Werbekampagnen mit bekannten Influencern.

NeumannZanetti & Partner, 22. März 2023


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